›Ich, Jossel, Sohn des David Rackower aus Tarnopol, ein Nacheiferer des Gerer Rabbi und Nachkomme der großen Zaddikim aus den Familien Rackower und Meisels, schreibe diese Zeilen, während das Warschauer Ghetto in Flammen steht; das Haus, in dem ich mich befinde, ist eines der letzten, das noch nicht brennt … Sollte jemand die Zeilen finden und lesen, so mag er vielleicht das Gefühl eines Juden verstehen, eines von Millionen, der gestorben ist verlassen von Gott, an den er so stark glaubte … Vor meinem Tode will ich als ein Lebender zu meinem Gott sprechen, wie ein einfacher, lebendiger Mensch, der den großen, aber unglückseligen Vorzug hatte, ein Jude zu sein … Du sagst vielleicht, es sei jetzt keine Frage von Strafe und Sühne, daß Du nur Dein Gesicht abgewendet hast. Ich will Dich fragen, Gott, und diese Frage versengt mich wie ein verzehrendes Feuer: was soll denn noch geschehen, damit Du uns Dein Gesicht wieder zuwendest?! … Ich kann Dich nicht loben für die Taten, die Du duldest. Ich segne aber und ich lobe Dich für Deine schreckliche Größe, die gewaltig sein muß, wenn selbst das, was jetzt geschieht, auf Dich keinen Eindruck macht. Und eben weil Du so groß bist und ich so klein, bitte ich: Ich warne Dich, um Deines Namens willen! Höre auf, Deine Größe zu beweisen, indem Du die Unglücklichen schlägst! …‹
»Von einem Hiob-Schicksal wird hier in erregender Nüchternheit berichtet; von einer Grenzsituation, in deren Feuer Glaubenspositionen ›gnadenlos‹ geprüft und gehärtet werden. Ein außerordentlicher, ja: ein ungeheuerlicher Text von geradezu alttestamentarischer Unerbittlichkeit. ›Das Echo auf die erste Sendung am 15. Januar 1955‹, schrieb Anna Maria Jokl, der wir die kongeniale Ubersetzung verdanken, ›war so ungewöhnlich, daß man sich nicht des Eindrucks erwehren konnte, in diesem Lande und eben hier habe das Manuskript seine Mission zu erfüllen.‹ Der Text wird erstmals in einer eigenen Publikation vorgelegt. Die Frage, ob ihm eine graphische Stimme antworten darf, hat fraglos grundsätzliche Berechtigung. Nach reiflicher Uberlegung habe ich Jan Uhrynowicz (Jahrgang 1943), einen polnischen Künstler, mit der Aufgabe betreut. Wir konnten uns nur brieflich kennenlernen, die Zusammenarbeit wurde durch die Ungunst der Verhältnisse nicht eben erleichtert, uns wurde viel Geduld abverlangt. Nun gewinne ich Abstand und finde: es hat sich gelohnt.« (Wolfgang Tiessen, 1985) |